Foto: The Library Of Congress @ Flickr (CC)

Ring frei: Google+ gegen Facebook

Zwei Datenkraken im Ring: Google+ fordert den bisher unangefochtenen Weltmeister Facebook zum Kampf um den begehrten Championship-Gürtel in der Social-Network-Klasse. Ich habe eine Woche lang den Herausforderer unter die Lupe genommen. Hier nun meine erste Einschätzung vom Duell der Online-Giganten. //

Als ich das erste Mal von Google+ las, wollte ich dort unbedingt rein. Zu verlockend war es, endlich einen ersthaften Konkurrenten zu Facebook ausprobieren zu können. Zwar bin ich immer noch großer Anhänger der beiden Big-Player in der sozialen Netzwelt, Twitter und Facebook. Doch bei beiden vermisse ich viele Features. Wer, wenn nicht der biggest Player im Netz, Google, sollte aus den Fehlern vor allem von Facebook lernen?

Detaillierte Vergleiche von Facebook und Google+ gibt es im Netz schon sehr viele. Den besten Überblick gewinnt man in diesem Blogbeitrag von gpluseins.de. Ich werde jetzt kurz und knapp meine subjektiven Eindrücke des Boxkampfes Weiß gegen Blau, Google vs. Facebook, schildern.

Circles vs. Freunde

In höchsten Tönen lobt die digitale Bohème die Funktion Kreise bei Google+. Die sind auch wirklich fantastisch. Bei Facebook sind alle Personen, die miteinander verbunden sind, gleich „Freunde„. Das ist schon fast lächerlich. Niemand bestreitet, dass auch flüchtige Bekannte oder Arbeitskollegen in der Liste auftauchen. Zwar lassen sich diese „Freunde“ auch bei Facebook in Listen einteilen. Doch das ist recht kompliziert und auch nur mit der Desktop-Version, nicht aber per iPhone oder Android möglich.

Bei Google+ ist das schon von Beginn an gelöst. Wer einen anderen Nutzer hinzufügen möchte, kann ihn gleich in einen „Kreis“ einteilen. Die lauten standardmäßig „Freunde“, „Familie“, „Bekannte“ oder „Nur folgen“, lassen sich aber beliebig erweitern und umbenennen. Außerdem entfällt das lästige Bestätigen von Freundschaftanfragen.

Der große Vorteil von Google+: Jeder Eintrag kann an einen sehr einfach zu definierenden Kreis geschickt oder der ganzen Öffentlichkeit gezeigt werden. Da hat Google+ den Datenschutz verstanden. Zwar lassen sich mittlerweile die Adressaten auch bei Facebook eingrenzen. Doch nur wer sich täglich intensiv mit dem Medium beschäftigt, kapiert die Funktion, die sich tief in den Privatsphäre-Einstellungen versteckt. Otto-Normal-Nutzer teilt bei Facebook weiterhin alles mit allen „Freunden“.

+1 vs. „Gefällt mir“

Der „Gefällt mir„-Button bei Facebook war revolutionär. Dank Einbindung in unzählige Newsportale und Blogs ist es ziemlich einfach, interessante Inhalte zu empfehlen. Auch wenn es häufig ziemlich unpassend sein dürfte, „Gefällt mir“ unter Nachrichten über tragische Unfälle oder ähnliches zu drücken. Spiegel-Online zum Beispiel nennt den Button daher „Empfehlen“.

Google zog vor einige Monaten mit dem +1-Button nach. Mittlerweile können viele Webinhalte und alle Suchergebnisse bei Google geplust (oder heißt das „plused“?) werden. Und wer einen Account bei Google+ besitzt, sieht, wenn seine Kontakte etwas geplust haben. Es entsteht quasi ein Empfehlungsranking in der größten Suchmaschine der Welt. Für Gewerbetreibende genial.

Der Fotograf Patrick Ludolph beschreibt in seinem Blog neunzehn72, warum Google+ für Fotografen ein Gamechanger sein kann. Der Kerngedanke: Um in der Google-Suche oben zu stehen, brauchte es bisher eine gute Suchmaschinen-Optimierung. Die wirkliche Fähigkeit des Fotografen stand hintan. Das ändert sich jetzt durch +1. Und rückt derjenige weiter nach oben, der die meisten Empfehlungen verbuchen kann. Natürlich setzt Google auch weiter auf die richtigen Schlagworte. Doch +1 ist ein nicht zu verachtender Finde-mich-Faktor.

Anmerkung am Rande: TOMBOgrafie.de hat bereits seit einiger Zeit unter jedem Beitrag ein +1 integriert.

Weitere Vorteile von Google+

Wer bei Facebook etwas sucht, der verzweifelt schnell. Personen, Gruppen, Seiten. Das geht. Aber wehe, man will einen bestimmten Beitrag finden. Das kann Facebook nicht. Google ist von Hause aus eine Suchmaschine. Das Mittel der Suche in Google+ heißt Sparks. Dies erinnert zwar eher an Google-Alerts, ist aber ein klasse Instrument, Inhalte innerhalb und außerhalb von Google+ zu finden. Außerdem gibt es schon jetzt zahlreiche Tools, Personen zum Beispiel nach Herkunftsort oder Beruf zu sortieren. Ich bin mir sich, das tut sich bei Google+ noch was.

Schön ist auch die Videochat-Funktion Hangout. Das klappt wirklich gut, auch mit mehreren Teilnehmern. Facebook arbeitet zwar jetzt mit Skype zusammen. Wirkliche Vorteile habe ich allerdings noch nicht entdeckt.

Wirklich schön ist das Einbinden von Fotos und Videos in Google+. Bei Facebook wirkt das doch eher etwas lieblos. Die Präsentation bei Google+ ist wirklich sehenswert. Und auch hier zeigt sich wieder der Vorteil der Kreise. Zu jedem Foto lässt sich die Zielgruppe definieren. Unschöne Fotos von der letzten Party auf dem Bildschirm des Chefs? Das war einmal.

Vorteile von Facebook

Der große Vorteil von Facebook – im Moment – ist sicher die immense Verbreitung. Fast alle meiner beruflichen und privaten Kontakte pflege ich über Facebook. Bei Google+ beschränkt sich die Kontaktpflege bisher auf ein paar wenige Freunde und Bekannte, die sich beruflich oder privat viel mit sozialen Netzwerken beschäftigen. Wer nicht bei Facebook ist, wird so schnell auch nicht bei Google+ sein. Bis Otto-Normal-User bei Google+ auftaucht, muss noch viel Wasser den Hopener Mühlenbach herunterlaufen.

Ich nutze Facebook und Twitter täglich als Eingangstor zu den wichtigen Nachrichten in der Welt. Ich folge fast allen eingschlägigen Newsportalen und bleibe dank Fanpages und Twitter-Accounts informiert. Ich bin ein Nachrichtenjunkie und Facebook gibt mir meinen Stoff. Und auch ich produziere mit meinem Blog und beruflich viele News, die über die Online-Kanäle in die Welt gehen. Bisher fehlen Firmen-Seiten auf Google+. Daher ist noch wenig los in meinem Stream. Doch das wird sich wohl bald ändern.

Bei Politikern und Polizisten unbeliebt, doch zum Glück ein unangefochtenes Feature bei Facebook sind die Veranstaltungen. Kein Tag vergeht ohne neuer Einladung zu irgendwelchen Parties, Geburtstagsfeiern, Firmen-Events oder Konzerten. Ohne diese Funktion wären mir einige wichtige Veranstaltungen schlichtweg entgangen. Für Google+ wünsche ich mir eine direkte Einbindungen in meinen Kalender, den ich ebenfalls über Google pflege.

Bisher gibt es nur wenige Apps, die Google+ integriert haben. Mir fehlt die Einbindung bei Tweetdeck, Hootsuite oder anderen. Bisher geht mein erster Blick des Tages auf meine Tweetdeck-Timeline. Dort sind die aktuellen Facebook- und Twitter-Meldungen zu sehen. Google+ fehlt da. Noch.

Fazit

Noch steckt Google+ in den Kinderschuhen, doch auch Facebook fing bekanntlich als kleines Uninetzwerk an. Diesen Schritt hat Google+ bereits hinter sich. Was doch unter dem Deckel des weltgrößten Onlinekonzerns entwickelt, wird zur echten Gefahr für Facebook und Twitter. Alle anderen sozialen Netzwerke haben sowieso schon verloren. Wenn Google+ weiter aus den Fehlern von Facebook die richtigen Schlüsse zieht, wird es das bessere Netzwerk. Das wird dann auch Otto-Normal-User erkennen und langfristig wechseln.

Kurzfristig jedoch sehe ich Mehrarbeit, die ich eigentlich nicht will. Schon bei Facebook und erst recht bei Twitter den Überblick zu behalten, ist schwer. Jetzt kommt Google+ dazu.

Die Haare eines jeden Datenschützer gehen bei Google sowieso in die Höhe. Erste Meldungen über ein Super-Werbe-Netzwerk aus dem Hause Google machen die Runde, wie diese aus der Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Doch wer um seine Daten besorgt ist, hat in keiner Online-Plattform etwas verloren. Für mich überwiegen die Vorteile.

Ich werde Google+ mit wachen Augen weiter verfolgen, jedoch meine Twitter- und Facebook-Aktivitäten nicht einschränken. Vielfalt schafft Reichtum. Der Boxkampf wird in der Verlängerung erst entschieden. Bislang hat Facebook noch leicht die Nase vorn.

Update (19.07.2011)

Mittlerweile häufen sich Berichte von Usern, deren Accounts von Facebook gelöscht wurden, weil sie Werbung für Google+ gemacht haben (wie hier im Blog silicon.de) Auch meine Verlinkung zu diesem Blogbeitrag wurde von Facebook entfernt. Der Boxer in der blauen Hose wehrt sich also mit Zensur gegen die Konkurrenz. Die Schlacht wird somit auf dem Rücken der User ausgetragen. Sollte auch mein Account in den nächsten Tagen nicht mehr bei Facebook auftauchen, dann dürfte der Grund bekannt sein.

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